Wunderbar ist Gott in Seinen Heiligen -

 

Die Bedeutung der Heiligen in der orthodoxen Kirche

 

Erzpriester Sergius Heitz

 

In der eucharistischen Liturgie ruft der Zelebrant vor der Brotbrechung: „Das Heilige den Heiligen!“ und die Glaubigen antworten: „Einer nur ist heilig, Einer nur Herr: Jesus Christus in der Herrlichkeit Gottes des Vaters, Amen.“ Von Heiligen kann man in der Kirche also nur reden, weil der Herr der Kirche heilig ist und durch Seine Herrschaft die heiligt, die ER Sich auserwählt hat. Das aber bedeutet, daß grundsätzlich jeder Getaufte zur Heiligkeit berufen ist, weil er in der Taufe Christus angezogen hat und fortan IHM gehört. Denn nur in diesem Sinne ist Heiligkeit dem sündhaften Menschen überhaupt zuzuschreiben: nicht als eigene Qualitat, sondern als gnadenhaftes Anteilerhalten an der Heiligkeit des Dreieinigen Gottes.

 

Aber nicht alle Gläubigen lassen in gleicher Weise die Heiligung an sich geschehen; nicht alle vermögen gleichermaßen in dieser Heiligkeit ihres Herrn zu stehen und sie auszustrahlen. Diejenigen aber, die so von der Gemeinschaft und Heiligkeit Christi erfüllt sind, das sie diese ausstrahlen wie die Erde nach einem Sonnentag im Sommer die Warme, die werden in der Kirche als Heilige verehrt. Das aber heißt: ihrer wird in besonderer Weise gedacht, in Dank und Liebe zur Ermutigung der Gläubigen, die der „großen Wolke von Zeugen“ bedürfen, um „mit Ausdauer zu laufen in dem Wettkampf, der vor ihnen liegt“ (Hebräer 12:1).

 

Die orthodoxen Glaubigen kommen sich ohne die erfahrbare Gemeinschaft mit den Heiligen in der Kirche überfordert, allein und einsam vor. Sie sind daher dankbar für das Band der gegenseitigen Fürbitte im Leibe Christi, das sie nicht nur mit den lebenden, sondern auch mit den durch den Tod hindurchgegangenen Heiligen verbindet. Denn der Tod hat seit Christi Tod und Auferstehung nicht mehr die Macht, die Liebesgemeinschaft im Leibe Christi, wo die stärkeren für die schwächeren Glieder eintreten, zu unterbinden. In der Erfahrung dieses gegenseitigen vor Gott Einstehens wird sichtbar, das der Tod entmachtet ist.

 

 

Eine Begebenheit aus der Sowjetzeit:

 

 

In einem russischen Dorf, in dem die Kirche schon in den 1920-er Jahren geschlossen worden war, befiehlt der Dorfsovjet allen Einwohnern, die Atheismus-Vorlesung “Über den Ursprung religiöser Feiertage” zu besuchen. Ein altes Mütterchen geht zum Vortrag, verlässt ihn schließlich strahlend und bekreuzigt sich:

 

"Dank sei Dir, oh Herr! An alle Feiertage hab ich mich erinnern können. Und ich hatte schon begonnen, einige zu vergessen…"

 

Quelle: Orthodoxe Familienzeitung 01/2008 (Online-Ausgabe)

 

"Die Heiligen sind heilig nicht ihrer eigenen Natur nach, sondern durch ihre Verbindung mit Gott, vermöge deren sie an der Heiligkeit dessen der allein heilig ist, Teil nehmen. Sie helfen uns, aber nicht aus eigener Kraft, sondern mit der Kraft, welche die göttliche Gnade ihnen verleiht. Gott allein ist die Quelle alles Seins, der allein Gute; daher gebührt Gott allein die göttliche Anbetung (λατρεία,lateinisch adoratio) Den Engeln und Heiligen gebührt nur die Verehrung (δουλεία, lateinisch: veneratio). Eine überaus hohe Verehrung (ὑπέρδουλεία) wird der allheiligen Gottesgebärerin und Immerjungfrau Maria gewidmet." 

Erzpriester Alexei Maltzew +  (aus Menologion I) .

 

 

"In der Frage der Heiligen und ihrer Verehrung spielt nach orthodoxer Auffassung auch die "Widmung" des Menschen nach Genesis 1,26 f. - in Abbild und Ähnlichkeit Gottes zu sein, eine entscheidende Rolle. Das Ziel des aus dem Glauben kommenden Lebens ist es, in Gemeinschaft mit dem Schöpfer zu leben; Heilige sind nach Ansicht der Orthodoxen Kirche jene Menschen, die diesen Weg in besonderer Weise beschritten haben. Bedeutsam ist auch, daß aufgrund des allumfassenden, durch Jesus Christus vollzogenen Erlösungsmysterium diese Berufung potentiell an alle Menschen ergeht."

Erzpriester Peter Sonntag, Gemeinde zu den Heiligen Erzengeln, Düsseldorf

 

 

Über den Aufbau der orthodoxen Kirchenjahres

 

Das orthodoxe Kirchenjahr besteht aus einem Doppelkranz von Festen, von denen der erste Festkreis mit der Vorfastenzeit beginnt und in Ostern gipfelt – das ist der Kranz des Sonnenjahres –, und der andere Festkreis – der Kranz des Mondjahres – aus den datumsgebundenen Einzelfesten sich zusammensetzt und am 01. September anfangt.

 

Da jeder Tag grundsätzlich an beiden Festkreisen Anteil hat, machen erst beide Kranze ineinander verflochten die unverwechselbare Eigenart eines Jahres aus. Die liturgischen Texte des Osterfestkreises werden für die Vorfastenzeit, die Fastenzeit und die Heilige und Hohe Woche (Karwoche) aus dem Triodion (auch Fasten-Triod genannt) entnommen.

 

Von der Osternacht bis zum Allerheiligenfest am Sonntag nach Pfingsten ist das Pentekostarion (Blumen-Triod) zuständig. Danach finden sich die benötigten Wechsel-Texte für die Sonntage und die Wochentage im Oktoich (dem Acht-Töne-Buch).

 

Für die datumsgebundenen Feste des Mondjahres sind die Menaen (Monatsbücher) zuständig. Eine auszugsweise Sammlung der Menaen, angefangen mit dem September, bringt das Menologion.

 

Was die Zuordnung und Auswahl der Texte aus beiden Festkreisen für einen bestimmten Tag betrifft, so gibt es feste Regeln, die allerdings bei den Slawen etwas anders sind als bei den Griechen.

 

Da das Osterfest nicht immer auf dasselbe Datum fällt, ist die Zuordnung des Osterfestkreises und des Heiligenfestkreises in jedem Jahr anders. Darum ist es nötig, dass für jedes Jahr ein eigener Kalender herausgegeben wird.

 

Fragt man nach der Gliederung im Kirchenjahr, so muss man zunächst festhalten, dass aufs Ganze gesehen der Sonnenfestkreis dem Mondfestkreis vorgeordnet ist, so wie Christus Selbst, die Sonne der Gerechtigkeit, den Heiligen, die Sein Licht reflektieren, vorangeht. Das bedeutet im einzelnen: Von der Vorfastenzeit an regiert der Sonnenfestkreis, da von nun an die Gläubigen auf Ostern ausgerichtet sind und sich immer mehr dem Mysterium von Kreuz und Auferstehung Christi nähern, zunächst durch ein Wachsen in Sündenerkenntnis und Reue. Nur gerade das Fest der Verkündigung an die allheilige Gottesgebärerin am 25. Marz ragt aus dem Mondfestkreis in den österlichen Sonnenfestkreis herüber. Die Basilius-Liturgie am Heiligen und Hohen Sabbat (nicht etwa erst die Ostermetten, wie viele kirchlich nicht Gebildete meinen) ist das Herzstück des Kirchenjahres, denn hier verkündet die orthodoxe Kirche erstmals den Augenblick des Sieges Christi.

 

In den Metten und der folgenden Österlichen Festzeit wird diese Botschaft dann immer wiederholt und verkündet Auch die Zeit zwischen Ostern und Pfingsten, die 50-tägige Festzeit der Pentekoste, die bis zum Fest der allheiligen Dreieinheit und des Gedenkens an die Herabkunft des heiligen Geistes auf die allheilige Gottesgebärerin und die mit ihr versammelten Apostel gedenkt, wird vom Sonnenfestkreis beherrscht.

 

Bis zum Tag vor Himmelfahrt dauert die eigentliche österliche Festzeit, in der die persönliche Aneignung der Auferstehungswahrheit im Mittelpunkt unseres Glaubenslebens steht. Deshalb singen wir auch an Stelle des Troparions „Himmlischer König“ in dieser Zeit das Ostertroparion „Christus ist erstanden von den Toten“. Von Himmelfahrt bis Pfingsten bereitet sich die Kirche vor auf die Feier der Ausgießung des Heiligen Geistes und die damit verbundene volle Offenbarung der Dreieinheit Gottes vor. In dieser Zeit singen wir nicht mehr das Ostertoparion und auch noch nicht das Troparion auf den Heiligen Geist: „Himmlischer König“, dass wir mit den Gottesdiensten am Vorabend des Pfingstfestes erstmals wieder singen.

 

Die ganze Zeit zwischen Ostern und Pfingsten ist mit den Texten des orthodoxen Osterjubel im Blumen-Triod eine Zeit des Wachsens im Glauben und in der Gotteserkenntnis. Nach Pfingsten folgt dann eine Zeit der Heiligung und des Wachsens im Heiligen Geiste; jetzt geht gleichsam die Führung im Kirchenjahr wieder an das Mondjahr über: die Heiligengedächtnisse prägen diese Zeit und erinnern an die Vergöttlichung (Theosis), zu der jeder Gläubige aufgerufen ist.

 

Nur noch die Feier der Sonntage spiegeln in seinem Acht-Wochen-Zyklus den Ostertag und die Feier der Auferstehung des Herrn wieder.

 

Die wichtigsten Feste nach Pfingsten sind: am 24. Juni die Geburt Johannes des Taufers, am 29. Juni das Gedächtnis der Apostelfürsten Petrus und Paulus, am 20. Juli das Fest des Propheten Elia, am 01. August eine Kreuzesverehrung und das Gedächtnis der Makkabäischen Bruder, am 06. August das Hochfest der Verklärung Christi, am 15. August die Koimesis, das Fest der Entschlafung der allheiligen Gottesgebärerin, am 29. August die Enthauptung des heiligen Johannes des Täufers.

 

Am ersten September beginnt dann das neue orthodoxe Kirchenjahr und nicht wie in den westlichen Kirchen mit dem Beginn der Weihnachtsfastenzeit (Advent). Am 08. September wird die Geburt der allheiligen Gottesgebärerin gefeiert.

 

Das Hochfest der Kreuzerhöhung am 14. September ist eine Zeitenwende im orthodoxen Kirchenjahr. Denn hier wird die nachpfingstliche Zeit der Erfüllung erneut zur vorösterlichen Zeit der Erwartung. Zunächst ist es allerdings die Erwartung der Geburt und Erscheinung (Theophanie) Christi, die innerhalb des Mondjahres stehen. Bereits die Feier der Geburt der Gottesgebärerin war eine erste Hinführung zu diesem Mysterium. Die Vertiefung der Erwartung erfolgt durch das Hochfest der Einführung der allheiligen Gottesgebärerin in den Tempel und dann durch die vorweihnachtliche Fastenzeit mit den beiden großen Gedächtnis- Sonntagen: dem Herrntag der Gottesahnen und dem Herrntag der Väter, die beide bereits zum eigentlichen Weihnachtsfestkreis gehören.

 

Außer dem Fest der Geburt unseres Herrn und Erlösers Jesus Christi dem Fleische am 25. Dezember und dem Fest der Theophanie, das der Erscheinung Christi als Sohn Gottes bei seiner Taufe im Jordan am 6. Januar gedenkt, (dem Höhepunkt des Mondjahres), bestimmt die eigentliche Weihnachtszeit eine Reihe weiterer Feste: am 26. Dezember das Mitfest der allheiligen Gottesgebärerin, am 27. Dezember das Gedächtnis des ersten christlichen Märtyrers Stephan, am 29. Dezember das Gedächtnis an das Martyrium der unschuldigen Kinder von Bethlehem, am 01. Januar das Fest der Beschneidung des Herrn und das Gedächtnis des heilihen Basilius des Großen, am 07. Januar das Mitfest des heiligen Johannes des Taufers, am 02. Februar das Fest der Begegnung (Hypapante) des Herrn mit den Heiligen Simeon und Anna im Tempel. Von da an beginnt schon wieder die Vorfastenzeit, die durch ihre liturgischen Texte die Aufmerksamkeit der Gläubigen auf Kreuz und Auferstehung des Herrn auszurichten.

 

Überschaut man das orthodoxe Kirchenjahr als Ganzes, so fällt zunächst auf, dass die beiden Jahresfestkreise einander zugeordnet sind wie die beiden Naturen in Christus: ungetrennt und ungeschieden, unvermischt und unverwandelt, wobei das Sonnenjahr der göttlichen Natur und das Mondjahr der menschlichen Natur in Christus entspricht. Die Feste im orthodoxen Kirchenjahr deuten darauf hin, dass der innere Wachstumsprozess eines Gläubigen ohne Unterbrechung immer intensiver stattfinden soll. Denn der, der sich auf das Mitgehen mit der Kirche durch das orthodoxe Kirchenjahr einläßt, der den Wechsel der Feste und Fastenzeiten mit in sein leben integriert und der vor allem regelmäßig an der Vecernja (Vesper) und Utrenja (Morgengottesdienst) der Kirche teilnimmt und dort die Gebetstexte, die uns auf die Fasten und Festzeiten einstimmen hört, der sich also auf ein von der Beachtung der Regeln des  orthodoxen Glauben geprägtes Leben mit dem orthodoxen Kirchenjahr einlasst und es mit der Kirche in Gebet, in Fasten und Feiern mit- und nachvollzieht, der erfährt bald, dass er ganz natürlich und selbstverständlich mit hineingenommen wird in ein immer tieferes Verständnis der in Christus zu unserem Heil gewirkten Erlösung, das unsere orthodoxe Kirche vor unseren geistlichen Augen durch die Feste des Kirchenjahres ausbreitet.

 

Zusammengestellt von Thomas Zmija

unter Verwendung von Vater Sergius Heitz;

Christus in euch. Hoffnung auf Herrlichkeit,

Orthodoxes Glaubensbuch.

 

 

Die Verehrung der Heiligen

 

Erzpriester Alexander Schmemann

 

Das Christentum wird verschieden aufgefasst. Für die Einen ist es vor allen Dingen Moral, das ethische Gesetz; für die Anderen Philosophie oder Ideologie, die die so genannten „Probleme“ erklärt  und löst; für Dritte schließlich ist es eine Lebensweise, ein System von Bräuchen, Gewohnheiten und Gedenktagen, die das Leben verschönen und buchstäblich eine Lebenshilfe sein können. Natürlich schließt das Christentum all das ein. Aber es ist mehr, weiter und tiefer als all das.

 

Denn im Evangelium wird die christliche Lehre als Leben verkündet, als neue, das alte sündhafte Leben erneuernde Daseinskraft, als eine neue Realität. Und tatsächlich, für die Christen war der eigentliche Beweis für ihren Glauben sowohl für sich selbst wie für andere eben das konkrete Leben der Christen und nicht nur bloße Lehre oder Moral oder Gottesdienst.

 

 

Die Apostel haben nicht das Christentum, sondern Christus gepredigt, Sein Leben, Seine Leiden, Seinen Tod und Seinen Sieg über den Tod. Das bedeutet, ihre Predigt war Verkündigung einer konkreten, lebendigen Gestalt.

 

Es bedurfte Jahrhunderte, um die komplizierte, reiche christliche Lehre zu präzisieren, um diese Lehre in die nach Schönheit und Tiefe so erstaunlichen Formen des christlichen Gottesdienstes zu gießen und um schließlich die moralischen und sittlichen Grundsätze des Christentums im Einzelnen zu erarbeiten.

All dies jedoch hätte und hat keinen Sinn ohne Verwurzelung im Leben.Und daher hatten eine besondere, ja ausschließliche Bedeutung in der Christenheit die Heiligen, das heißt Menschen, die in sich, mit ihrem Leben den eigentlichen Inhalt des Christentums verkörperten. Und daher offenbart sich uns dieser Kern am besten, wenn wir zu diesen konkreten, lebendigen Menschen hinschauen.

 

Dies ist nützlich zumal jetzt, wo viele, selbst Gläubige oder religiöse Leute, abgeschnitten sind von der lebendigen Kenntnis der Heiligen. So seltsam es klingen mag, es geschah gerade wegen der Verehrung der Heiligen. Anstatt die Heiligen zu verstehen, ihre Erfahrungen nachzuempfinden und sich in sie hineinzuleben, begannen die Menschen einfach die Heiligen zu verehren, und so verwandelten sie sich gewissermaßen in abstrakter Verkörperung zu etwas Abstraktem, Übernatürlichem, Übermenschlichem, das uns, den einfachen Sterblichen, nicht zu Gebote steht.

 

Wir haben vergessen, dass Heilige in erster Linie Menschen wie wir sind. Das aber heißt, jeder von ihnen ist individuell, dem anderen nicht ähnlich, mit anderen Worten, jeder Heilige ist eine lebendige, einmalige Persönlichkeit und, was bei den Heiligen gerade besonders wichtig ist: Jeder geht seinen eigenen Weg in seinem Leben, unter den einmaligen und unwiederholbaren Bedingungen seines Lebens, damit er zur Heiligkeit gelangt, zu jener Verkörperung des Christentums in sich, das bis zur Stunde auch uns leuchtet.

 

 

Wir haben weiter die große Vielfalt der Heiligen vergessen, den Unterschied ihres Temperaments, ihre Berufe, Bildung, Interessen und Wege, welche sie genommen haben. Sie sind für uns Vollkommenheit ganz allgemein. Doch gerade jetzt und gerade wir müssen uns an Heilige wie an lebendige Menschen erinnern; weil in dem Kampf wider das Christentum, die Kirche und den Glauben bei uns, übrigens recht gekonnt, auf den abstrakten Charakter der Religion, auf den Nominalismus zurückgegriffen wird.

 

Das Christentum wird als Lehre bestritten, als Moral entlarvt, man verspottet uns als Kult. Ihr sagt, meint man, das eine, aber handelt anders, und folglich ist euer ganzer Glaube eine Lüge. Natürlich kann man endlos über solche Erklärungen streiten. Man kann und muss den Glauben als Wahrheit verteidigen, aber auch als Moral und Kult. Diese Apologie wird tatsächlich kaum überzeugen, wenn wir im Christentum nicht das Leben sehen, das heißt Wege, die Tausende und Abertausende gegangen sind, für die dieser Pfad zum Weg der vollkommenen Freude, des eigentlichen Lebenssinns, der Fülle des Lebens und der Menschlichkeit wurde.

 

Die Wahrheit des Christentums liegt in seiner Lebendigkeit, in der Fähigkeit Heilige hervorzubringen, und zwar in jedem Volk, in jeder Epoche und in jeder Kultur. Das Christentum hat wie alles auf der Erde Perioden des Aufschwungs und des Verfalls gehabt, Epochen großer und weniger großer Erfolge. Oft haben Christen, ja sogar zu oft, eben die Grundsätze verraten, die sie verkündigt haben. Und unter diesem Gesichtspunkt haben sie ihren Feinden nicht wenige Waffen geliefert.

 

 

Aber in dieser menschlichen, allzumenschlichen Geschichte ist stets das unverändert geblieben, worauf wir uns immer berufen müssen, was das Wesen des Christentums ausmacht. Das ist die Gestalt Christi. Und das ist daher die Gestalt für alle die, die nicht nur mit Worten, sondern in der Tat, mit ihrem ganzen Leben, Christus aufgenommen haben, Ihm nachfolgten in Dem das Christentum seine Berechtigung fand.

 

Zu oft haben wir Jahrhunderte hindurch in den Heiligen nur die Helfer, die Fürbitter und die Beschützer gesehen. Von ihnen wollte und erwartete man nur Wunder, nur die übernatürliche Hilfe. Ist es jetzt nicht an der Zeit, dass wir zurückfinden zu dem wahren Sinn der Heiligkeit im Christentum? Sein Sinn verkörpert sich am besten in dem Wort, mit dem die Christen ihre ersten heiligen Märtyrer benannten; es ist das Wort μάρτυς = „martys" auf Griechisch, zu Deutsch aber „Zeuge“.

 

Der Heilige ist vor allen Dingen ein Zeuge, das heißt ein Mensch, der durch seine Erfahrung Christus gesehen, erkannt und zu seinem Leben gemacht hat. Und daher braucht er als Zeuge keine Beweise und Erwägungen. Er sah, erkannte und akzeptierte als Augenzeuge, was für andere immer nur Lehre, nur Worte, nur Erwägungen sind. Wir begreifen, dass der Begriff Heiligkeit nichts anderes als Zeugentum meint.

 

 

Die Verehrung der heiligen Ikonen und Reliquien 

 

Thomas Zmija

 

Nach orthodoxem Verständnis sind die heiligen Ikonen (von griechisch εικόνα = „Bild“, d.h. symbolhaltige Abbilder des Urbildes) der Heiligen, der allheiligen Gottesgebärerin und des Herrn Selbst transparent für die Gegenwart ihrer Person. Die Verehrung, die diesen Abbildern dargebracht wird, geht über auf deren Urbilder, gilt also den Personen, nicht den Bildern selbst. Seit dem 5. und 6. Jahrhundert hat sich die Ikonenverehrung zusammen mit der Reliquienverehrung zunehmend ausgebreitet. Im Bilderstreit (726 bis 843) wurde die Ikonenverehrung zum Anlass für einen Versuch des Staates, den Einfluss der Kirche im byzantinischen Reich zu brechen. Die Ursachen für den Ausbruch des Bilderstreites waren verschiedenartig: einerseits war die Kirche, und vor allem das Mönchtum, zu einer Kraft im byzantinischen Reich geworden, an der der Staat nicht einfach vorbei kam. Andererseits musste der Kaiser als Feldherr von seinen islamischen Gegnern immer wieder hören, die Christen seien Götzendiener, da sie Bilder anbeteten. Zudem kamen in Bezug auf die Bilderverehrung tatsächlich auch zunehmend Missbräuche vor, gegen die die Bischöfe einschreiten mussten. Dies nun nahm Leon III., der Isaurier, der auf allen Gebieten eine absolute Herrschaft anstrebte und den Einfluss der Mönche zu brechen suchte, zum Anlass, 726 ein erstes Edikt gegen die Bilderverehrung zu erlassen. Dieses Edikt und seine Verschärfungen in den folgenden Jahren führte nicht nur zur Zerstörung von unzähligen Ikonen und Bildern in den Kirchen und in Häusern, sondern auch zu Aufständen in Griechenland und Italien und vor allem zu einer allgemeinen Verfolgung der Mönche im ganzen byzantinischen Reich. Es scheint, als sei für Leon III. und seinen Nachfolger Konstantin V. Kopronymos die Bilderfrage vor allem ein Vorwand gewesen, das Mönchtum auszurotten und damit den Einfluss der Kirche auf das Volk einzudämmen. Die bilderfreundliche Kaiserin Irene stellte die Verfolgungen ein und lies 787 das Siebte Ökumenische Konzil von Nikäa in Freiheit über die Bilderfrage verhandeln, worauf die Bilderverehrung wieder hergestellt wurde mit der Bestimmung, dass den Bildern, wie dem Heiligen Kreuz, dem Evangelienbuch, den Reliquien und allen Heiligen nur die ehrfürchtige Verehrung (timitike proskynesis, das griechische Wort bedeutet genau „Verehrung durch Niederwerfen“) nicht aber die wahre Anbetung (alithine latreia) zukomme. Die heiligen Väter auf dem Konzil begründeten dies mit der Lehre von der Menschwerdung Gottes in Jesus Christus, wie sie der heilige Johannes von Damaskus formuliert hatte: Das Bilderverbot im Alten Testament ist nur zur Verhinderung von Götzendienst gegeben worden, zu dem damals manche Israeliten durch die Nachbarschaft der Kanaanäer neigten. Auch ist Vieles im Alten Testament bildhaft auf Christus hin zu verstehen. Der Sinn dieser sinnhaften Abbilder im Alten Testament ist es, auf das erfüllende Urbild Christus hinzuweisen. Weil Gott in Jesus Christus Fleisch wurde und eine menschliche Natur annahm, ist eine konkrete, körperliche Darstellung Christi möglich. Gott der Vater ist zwar unsichtbar, aber Er Selbst hat durch die Menschwerdung Seines Sohnes ein sichtbares Bild von Sich gemacht. Deshalb können nun Christus und Seine Heiligen auf den Ikonen bildlich dargestellt werden – im Gegensatz zum Zweiten unter den Zehn Geboten, das nur vor der Menschwerdung Christi seine Gültigkeit hatte. Aus diesem Grunde ist auch eine Darstellung Gottes des Vaters auf den heiligen Ikonen nicht möglich. Dieses Verbot wurde durch verschiedene orthodoxe Synoden (z.B. die Hundert-Kapitel-Synode in Russland) immer wieder erneuert, obwohl man durch alle Jahrhunderte hinweg immer wieder Ikonen mit der bildlichen Darstellung Gottes des Vaters finden kann. Aus dem gleichen Grunde wird auch die Allerheiligste Dreieinigkeit auf der Festtagsikone des zweiten Feiertags von Pfingsten durch die drei Engel dargestellt. Die bekannteste Ikone dieser Art stammt vom heiligen Ikonenmaler Andrej Rublëv aus dem Russland des 14. Jahrhunderts. Auf dem Siebten Ökumenischen Konzil wurde auch beschlossen, dass alle Ikonen mit Aufschriften versehen werden müssen, um eine Verselbstständigung der Verehrung der Ikone als Gegenstand, ohne Rücksicht auf die dargestellte reale Figur, zu verhindern. Unter den folgenden Kaisern flammte die Verfolgung der bilderfreundlichen Opposition gegen den Staatsabsolutismus erneut auf. Erst unter Kaiserin Theodora wurde am ersten Fastensonntag 843 in einem feierlichen Akt in der Hagia Sophia zu Konstantinopel die Entscheidung von 787 wieder in Kraft gesetzt. Seither feiert die Orthodoxe Kirche jedes Jahr am ersten Fastensonntag das Gedächtnis des Sieges der Orthodoxie durch eine Prozession mit den heiligen Ikonen und das Verlesen der Konzilsbeschlüsse (Synodikon).

 

 

Heilige und Heiligkeit

im Verständnis der Orthodoxen Kirche 

 

Thomas Zmija

 

Im privaten und kirchlichen Gebet ruft der orthodoxe Christ die Allheilige Gottesgebärerin, seinen Schutzengel und die Heiligen um Hilfe an. Aber die Heiligen sind nicht ihrer eigenen Natur nach heilig, sondern durch ihre Verbindung mit Gott, vermöge deren sie an der Heiligkeit dessen der allein heilig ist, Teil nehmen. Sie helfen uns, aber nicht aus eigener Kraft, sondern mit der Kraft, welche die göttliche Gnade ihnen verleiht. Gott allein ist die Quelle alles Seins, der allein Gute und Gütige. Daher gebührt Gott allein die göttliche Anbetung (lateinisch adoratio, griechisch λατρεια) Den Engeln und Heiligen gebührt jedoch nur die Verehrung (griechisch δουλειά). (vgl. Erzpriester Alexeij Maltzew: Menologion I) Die Anrufung der Heiligen um ihre Fürbitte und ihren Beistand ist eine althergebrachte orthodoxe Sitte. Schon im Alten Testament ruft der heilige Prophet und König David aus: "Herr, Gott unserer Väter Abrahams und lsaaks und Jakobs". Durch die Erwähnung der gerechten Männer des Alten Bundes möchte der Psalmensänger sein Gebet unterstützen. Auch heute ruft die Orthodoxe Kirche "Christus, unseren wahren Gott, durch die Fürbitten Seiner Allreinen Mutter und aller Heiligen" an, sich der Gläubigen zu erbarmen und sie zu erretten. 

 

Die Lebensbeschreibungen der neutestamentlichen Heiligen setzen mit der "Apostelgeschichte" des heiligen Evangelisten Lukas ein, denn hier wird uns der Bericht vom Wirken und Leiden des ersten Blutzeugen für Christus, des heiligen Erzdiakons Stephanus, überliefert. Der heilige Stephanus war der erste von sieben Diakonen der Kirche in Jerusalem. Diese Diakone waren von den Aposteln durch Handauflegung geweiht worden, nachdem in der Kirche ein Konflikt zwischen den Mitgliedern mit griechischem Hintergrund und solchen mit traditionell jüdischem um die Frage der Versorgung von Witwen aufgetreten war. Die Diakone waren zu jener Zeit zugleich für die Glaubensverkündigung, wie auch für die sozialen Belange in der Kirche zuständig. (Apostelgeschichte 6, 1 - 7). Der heilige Stephanus war „ein Mann voll Gnade und Kraft und tat große Wunder und Zeichen unter dem Volke“ (Apostelgeschichte 6, 8). Durch eine seiner Predigten geriet der heilige Stephanus mit den hellenistischen, griechischsprachigen Juden in Jerusalem in Konflikt. Sie brachten ihn unter dem Vorwurf der Reden wider den jüdischen Tempel und das mosaische Zermonialgesetz mit falschen Zeugen vor den Hohen Rat (Apostelgeschichte 6, 9 - 15). Er durfte seine Verteidigungsrede, in der er seinen christlichen Glauben bekannte und den Vorwurf des Prophetenmordes und der Nichtbeachtung der durch Mose überlieferten Gebote erhob, nicht zu Ende führen. Die Richter sahen sein Antlitz wie das eines Engels strahlen, hielten sich aber die Ohren zu wegen seiner flammenden Verteidigungsrede, mit der er sein Bekenntnis zu Christus ablegte. Die in Apostelgeschichte 7, 2 - 53 wiedergegebene, eindrucksvolle Rede belegt, dass der heilige Stephanus schon vor den Missionsreisen des heiligen Apostels Paulus den universalen Anspruch des Glaubens an Christus verkündete. Dem heiligen Stephanus wurde am Ende seiner Rede eine Vision zuteil, in der er den Herrn Jesus Christus zur Rechten Gottes erblickte. Als er den Richtern dieses verkündete, wurde er von der aufgebrachten Menge als Gotteslästerer vor dem Damaskus-Tor gesteinigt.

 

Er sah den Himmel offen, kniete im Gebet nieder, vergab seinen Peinigern und übergab seine Seele in die Hände Gottes. (Apostelgeschichte 7, 54 - 60). Saulus von Tarsus, der spätere heilige Apostel Paulus, stimmte nach eigenem Bekunden der Hinrichtung zu und bewachte die Kleider der Zeugen, die gegen Stephanus ausgesagt hatten (Apostelgeschichte 22, 20). Die Steinigung des heiligen Stephanus war der Auftakt zu einer großen Christenverfolgung in Jerusalem (Apostelgeschichte 8, 1 - 3). Vom heiligen Nikodemus und dem jüdischen Gelehrten Gamaliel wurde der heilige Protomartyrer Stephanus dann auf dem Acker des Gamaliel in der Nähe des Garten Getsemani begraben. Dort befindet sich heute ein griechisches Kloster.

 

Auch in den folgenden Zeiten wurden die Berichte vom Leben und Wirken der Martyrer Christi durch Augenzeugen aufgezeichnet. Solche Aufzeichnungen bilden dann später ganze Bücher, die heute als Martyriologien bezeichnet werden. So ist die Ausbreitung der heiligen Kirche immer durch die vielfältigen Taten der Heiligen in Fasten, in Beten, in Werken der Barmherzigkeit, der Geduld, der Sanftmut, der Nächtenliebe und der unermüdlichen Predigt des Wortes Gottes als dem Weg zur Errettung, begleitet worden. Denn in der orthodoxen Verehrung der Heiligen spielt die "Widmung" des Menschen nach Gen 1,26 ff. – Abbild (griechisch εικόνα) und Ähnlichkeit Gottes zu sein, eine wichtige Rolle. Das Ziel des aus dem Glauben kommenden Lebens ist es gerade, in Gemeinschaft mit dem Schöpfer zu leben. Heilige sind deshalb nach Ansicht der Orthodoxen Kirche zunächst einmal Menschen, die diesen Weg der Nachfolge in besonders vorbildhafter Weise beschritten haben. Dabei ergeht aufgrund des durch Jesus Christus vollzogenen, allumfassenden Erlösungsmysteriums die Berufung zur Heiligkeit grundsätzlich an alle orthodoxen Christen als lebendigen Gliedern am Leib Christi (d. h. in der heiligen Kirche). So geht es im orthodoxen Verständnis der Heiligkeit am Ende eben nicht um eine bloße Verehrung einer "heilige Elite", sondern alle orthodoxen Christen sind in ihrer persönlichen Christusnachfolge dazu aufgerufen, sich durch das Wirken der göttlichen Gnade mehr und mehr in das Bild Christi verwandeln zu lassen. Bei den heiligen Vätern wird dieser Vorgang der permanenten Heiligung „Theosis“ Θεωσις genannt, das bedeutet „Vergöttlichung“ oder „göttlich Machung“. Der Begriff meint im Verständnis der Orthodoxen Kirche den Errettungsprozess des Gläubigen von der Unheiligkeit zur gnadenhaften Teilnahme an den Wirkkräften (ἐνέργεια) Gottes. Denn das heilige Leben in Gott beginnt und wächst mit Anstrengungen eines orthodoxen Glaubensleben in dieser Welt und findet am Ende dann seine Erfüllung in der beseligenden Schau Gottes, in der die Macht von Sünden und Tod endgültig überwunden sein werden. Die Welt der Heiligen, das ist die Welt jener Menschen, die in ihrem Leben die Gebote des Evangeliums gleichsam „verkörpert“ haben und die deshalb schon nicht mehr dem Fleische, sondern dem Geiste nach gelebt haben. Denn dort, wo der Geist lebt, stirbt das Fleisch; wo der Geist frei ist, dort wird das Fleisch gekreuzigt, und es gibt für die Sünde keinen Platz mehr, dort wo Christus ist. Aus diesem Grunde liegt auch im Lesen der Heiligenviten und das Nachdenken über sie für unsere Seelen ein großer Nutzen. An ihnen haben wir lebendige Beispiele des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe zu Gott und unseren Nächsten.

 

Jeder orthodoxe Christ hat in der heiligen Taufe seinen Vornamen von einem orthodoxen Heiligen empfangen. Dieser Namensheilige bestimmt den persönlichen Festkalender des orthodoxen Christen, denn weithin wird im christlichen Osten nicht der Geburts-, sondern der Namenstag begangen. Das ist der Gedenktag des Heiligen, dessen Namen der einzelne Christ als Vornamen trägt. Diesen Tag begehen gläubige orthodoxe Christen nach Möglichkeit mit dem Besuch des Gottesdienstes zu Ehren des Tagesheiligen. Anschließend wird der Namenstag dann im Kreise der Familie, der Taufpaten, Verwandten und Freunde festlich und zumeist auch fröhlich begangen.

 

 

Wunderbar ist Gott in Seinen Heiligen - Gedanken zur Synaxis aller Heiligen, die in den deutschen Landen aufgestrahlt sind.

 

Thomas Zmija

 

Als nach der russischen Oktoberrevolution die  Verfolgung der Christen durch die gottlosen Bolschewiki einsetzte, verließen viele orthodoxe Gläubige Russland und fanden dann in Frankreich eine neue Heimat. Zu dieser Zeit  erschien die Heilige Genoveva (Geneviève) im Traum einer gläubigen russischen Emigrantin. Sie offenbarte der Frau, daß auch die orthodoxen Gläubigen zu ihren Grab kommen und sie um Fürsprache bei Gott bitten sollten.Diese westliche Heilige, die im 5. Jahrhundert, also noch zur Zeit der ungeteilten Kirche gelebt hatte, versprach den aus dem Osten kommenden Gläubigen  Fürsorge und Fürsprache  bei Gott.

 

Die heilige Geneviève ist die Heilige, die besonders die Stadt Paris und ihre Bewohner beschützt. Sie rettete im Jahr 451 die Stadt vor dem Einfall der Hunnen. Als sie etwa 20 Jahre alt war; verstarben ihrer Eltern. Darauf weihte sie ihr Leben Gott und lebte in vollkommener Askese. Sie verbrachte ihr Leben in Einsamkeit, fastete sehr streng, betete ganze Nächte hindurch, ganz besonders in der Zeit zwischen Epiphanie und  der Großen und Heiligen Woche (Karwoche). Als die Hunnen im 5. Jahrhundert unter der Führung ihres Khans Attila in Frankreich einfielen und bald auch die Stadt Paris mit Zerstörung und Tod bedrohten, wurde die Stadt durch die Gebete der Heiligen gerettet. Kurz vor Paris änderten die Hunnen  ihre Marschroute und Paris wurde mit Gottes Hilfe verschont. Die heilige Geneviève erlangte von Gott die Gabe der Tränen. Ihre Tugend war das tiefe Mitleiden, die innige Reue und umfassende Liebe zu allen Menschen. Während drohender feindlicher Angriffe, in Zeiten von Epidemien und anderer herannahender Katastrophen wurden ihre Reliquien in den kommenden Jahrhunderten durch die Strassen der Stadt getragen und in den Kirchen wurde im Gebet ihre Fürsprache bei Gott gefleht. Während der französischen Revolution wurden ihre heiligen Gebeine im Rahmen des „Kampfes gegen die religiösen Vorurteile“ auf dem traditionellen Hinrichtungsplatz, dem „Place de Grève“, verbrannt. Die wie durch ein Wunder erhalten gebliebenen Teile der Reliquien und der Reliquienschrein werden heute in der Pariser Kirche Saint-Etienne-du-Mont aufbewahrt. In dieser westlichen Heiligen erkannten nun die russischen Emigranten die gleiche Frömmigkeits- und Geisteshaltung wieder, wie bei den Heiligen, Gerechten und Frommen, die im Laufe der Jahrhunderte in den russischen Landen aufgestrahlt waren. So erkannten sie, daß die Heilige Orthodoxe Kirche nicht nur im Osten, sondern schon seit Jahrhunderten auch im Westen, vor allem in den Heiligen, die hier gelebt hatten, zu finden war.

 

 

Damit wir in den westlichen Heiligen die apostolische Fülle der Kirche, ihre wahrhafte Katholizität, erkennen können, müssen unsere russisch, griechisch, rumänisch oder serbisch geprägten geistigen und geistlichen Augen jedoch hinter die Fassade des kulturell Gewohnten zu blicken lernen. Wenn sich unsere inneren Augen sich nicht von der Oberfläche abendländischer Erscheinungsformen in Gottesdienst, Frömmigkeit und Geistesleben irritieren lassen, sondern in die Tiefe des christlichen Glaubens, der immer ein ganz kirchlicher und damit zutiefst orthodoxer ist, zu blicken gewöhnen, werden wir hinter äußeren Unterschieden zwischen unserer byzantinischen und der abendländisch-lateinischen Tradition in Liturgie und Frömmigkeit die Eine Orthodoxe Kirche entdecken.

 

Dieser Blick auf das gemeinsame orthodoxe Erbe ist durch die Jahrhunderte des Schismas getrübt worden. Die bitteren Erfahrungen der Kreuzzüge, der Eroberung und Plünderung von Konstantinopel, des Uniatismus und des westlichen Proselytismus haben das Misstrauen und die Verbitterung bei vielen Orthodoxen wachsen lassen und damit den Blick auf das Verbindende weithin zu verstellen vermocht. Aber auch nachdem sich das römische Patriarchat von der einen Kirche Christi abgespalten hatte ist die Orthodoxe Kirche nicht östlich gegen westlich, nicht byzantinisch gegen römisch, nicht orientalisch gegen lateinisch geworden. Als von Christus gestiftete Arche des Heiles ist sie stets das genuine Leben in Christus geblieben, zu dem alle Christen an allen Orten und zu allen Zeiten durch Christus Selbst berufen sind. Dies wird in besonders schöner Weise an den Heiligen, die in den Ländern des Osten und Westen seit Alters her aufgestrahlt sind und uns den gemeinsamen orthodoxen Glauben in der Vielfalt der einzelnen menschlichen Lebenswege und der kirchlich geprägten Kulturen der einzelnen Völker deutlich.

 

 

Diese Verehrung der Heiligen, die in den Ländern des Westen gelebt haben, verwurzelt die entstandene orthodoxe Diaspora in den Ländern ihrer neuen Heimat. Gleichzeitig vermag sie die Frommen in der orthodoxen und der katholischen Kirche schon heute in der Verehrung der gemeinsamen Heiligen zusammenzuführen und weit mehr als alle ökumenischen Papiere der akademischen Fachleute zur Wiedererlangung der kirchlichen Einheit beizutragen. Eine Einheit, die wir - bei aller Wichtigkeit des Gespräches und theologischen Verstehenlernens - weder herbeireden, sondern nur aus der Fülle des Wirkens des Heiligen Geistes wieder empfangen können: Eine Fülle, die uns Gott allein auf die Fürsprache aller Seiner Heiligen wieder schenken kann.

 

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Für die Entscheidung, wer ein Heiliger ist, sind wir als orthodoxe Christen auf das Entscheidungs- und Unterscheidungsvermögen der Kirche verwiesen. Die orthodoxe Kirche „spricht“ niemanden heilig, sondern sie anerkennt in der kirchlichen Kanonisation die vor Gott Angesicht bereits erwiesene Heiligkeit, die in der Theosis erlangte Christusförmigkeit des einzelnen Heiligen. Diese ehrt sie nun dadurch, daß der neue Heilige einen Feiertag mit gottesdienstlichen Texten bekommt. Die Kirche ist als der Leib Christi auch die Versammlung der Heiligen. Am Leben der Heiligen ist das Gnadenwirken Gottes besonders erkennbar. Durch die Wunder der Heiligen erweist Er uns sichtbar Seine ungeschaffene Gnade. 

 

 

Aus der Heiligen Schrift wissen wir, dass nicht nur die einzelnen Menschen ihren persönlichen Schutzengel haben, sondern dass auch die Völker durch  bestimmte,  zu ihrem Beistand und Schutz gesandte Engel begleitet und behütet werden. In ähnlicher Weise verhält es sich auch mit den Heiligen, die jeweils in einen bestimmten ethnischen und lokalen Kontext ihren Weg mit und zu Christus hin gegangen sind. Da bedeutet natürlich nicht, daß die Heiligen auf einen nationalen Kontext begrenzbar sind, wie es chauvinistisch Verblendete gemeinhin meinen; wohl aber, daß es auch eine besondere bleibende geistliche Verbindung zwischen Ihnen und der Kirche und den Gläubigen in den Ländern, in denen sie gelebt haben, gibt. Ihre Fürbitte für uns und ihre Verehrung durch uns sind deshalb wichtig für die Entfaltung des geistlichen Lebens der jeweiligen orthodoxen Lokalkirchen, sowohl für die Ortskirche in Griechenland und Russland, als auch für die sich bereits seit Jahrzehnten entwickelnde orthodoxe Kirche hier in Deutschland.

 

 

 

Die Purpurhändlerin Lydia im makedonischen Philippi nahm den heiligen Apostel Paulus und seinen Begleiter, den Heiligen Silas, in ihr Haus auf und ließ sich und die Angehörigen ihres Haushaltes taufen. Die heilige Lydia war damit die erste Person auf europäischem Boden die den christlichen Glauben annahm. Mit ihr beginnt die lange Reihe der vielen christlichen Heiligen im Osten und Westen Europas, die Christus nachfolgten und sein heiliges Evangelium zum Zentrum ihres Lebens machten. 

 

 

 

Der heilige, apostelgleiche Kaiser Konstantin verweigerte nach seinem Sieg an der Milvischen Brücke bei Rom das übliche Siegesopfer für die römischen Götzen, denn er hatte vor der Schlacht im Traum das Kreuz Christi gesehen und eine Stimme vernommen, die ihm ankündigte : "In hoc signo vinces" ("In diesem Zeichen wirst du siegen") Danach hat er das Christogramm "XP" auf die Feldzeichen und Schilde seiner Soldaten schreiben lassen. Die Frage, ob Kaiser Konstantin „wirklich“ ein Christ geworden ist, ist heute zwischen den verschiedenen christlichen Traditionen sehr umstritten. Wir Orthodoxen verehren ihn als den ersten christlichen Kaiser mit dem der schrittweise Weg zur Verchristlichung Europas begann. Mit ihm beginnt eine lange Reihe heiliger christlicher Herrscher, die, in Symphonia mit der Heiligen Kirche, dem Antlitz unseres Kontinentes im Osten und Westen allmählich seine vom Christentum geprägte Gestalt gaben. Wenn die Delegierten des Verfassungskonventes auf Herrenchiemsee die Präambel unseres Grundgesetzes "im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott"  beginnen, ist auch dies ein Ausdruck der Verankerung unserer gesamten Kultur und ihrer Werte im Kontext dieses christlichen Glaubens.

 

 

 

Der heilige Johannes Cassian pilgerte in jungen Jahren pilgerte nach Palästina.  Dort trat er um das Jahr 382 in Betlehem in ein Kloster ein. Um das Jahr 385 zog er dann mit seinem Freund Germanus in die Sketische Wüste, um dort das Leben der Eremiten aus eigener Anschauung kennenzulernen: Sieben Jahre blieben sie dort und gingen dann für drei weitere Jahre zu den Einsiedlern in die Thebais. Im Jahre 399 verließ der Heilige Johannes Cassian mit seinem Gefährten Ägypten und zog weiter nach Konstantinopel. Dort wurde der heilige Johannes vom Heiligen Johannes Chrysostomos zum Diakon geweiht.

404 wurde der Heilige Johannes Cassian in Begleitung von Germanus nach Rom geschickt, um den Beistand des abendländischen Patriarchen für den verfolgten Heiligen Johannes Chrysostomos zu erwirken. Später zog er dann weiter in die Provence. Dort gründete er um 415 das Mönchs-Kloster Saint Victor und ein Nonnenkloster im heutigen Marseille. Diese beiden Klöster wurden dann in einer Zeit barbarischer Verwüstungen zum Zufluchtsort für Menschen in Not und Stätten des Friedens. Gleichzeitig waren  sie Zentren des geistigen und geistlichen Lebens und der monastischer Spiritualität und wirkten von der Provence aus weit hinein nach Gallien und Spanien.

Auf Bitten des Bischofs Castor von Apt verfaßte der heilige Johannes Cassian unter dem Titel „De institutis coenobiorum et de octo principalium vitiorum remediis“ „Von der Einrichtung des Zusammenlebens und der Erlösung von den acht wichtigsten Sünden“ eine Zusammenfassung seiner geistlichen Erfahrungen, geschöpft aus der Quelle der Mönchsväter des Ostens. Er wurde damit zum Vater des idiorhythmischen Einsiedler-Mönchtums in Westeuropa.

Auf diesen Erfahrungen baute dann der heilige Benedikt von Nursia auf, der, wenn auch nicht zum Begründer, so doch zum wichtigsten Vater des cönobitischen Mönchtums wurde. 

Benedikt wurde mit seiner Zwillingsschwester Scholastika als Sohn einer vornehmen römischen Familie geboren. Entsetzt vom Leben in der Stadt Rom, das von Verfall gekennzeichnet war,  schloss der heilige Benedikt einer asketischen Gemeinschaft in den Sabiner Bergen nahe bei Rom an. Später zog er sich in eine unbewohnte Gegend im Aniotal nahe bei Subiaco zurück. Hier lebte er drei Jahre völlig einsam in einer Höhle. Täglich ließ ihm der Mönch Romanus aus einem benachbarten Kloster in Vicovaro an einem Seil ein Brot herab. Wie der heilige Antonius der Eremit bestand auch der heilige Benedikt in der Einsamkeit viele Versuchungen und Plagen des Bösen.

Benedikts Ruf als heiligmäßiger Asket wuchs und viele Menschen kamen, um ihn zu sehen. Die Mönche von Vicovaro luden ihn ein und wählten ihn zum Abt ihres Klosters. Als sich die Mönche nicht mit seinen strengen Askese einverstanden erklären wollten, versuchten sie ihn zu vergiften. Doch das Gift entwich demnach als eine Schlange aus dem Becher, den sie ihm reichten, und das Gefäß zerbrach, als er das Kreuzzeichen darüber machte.

Der heilige Benedikt verließ daraufhin das Kloster in Vicovaro und kehrte als Vorsteher einer Eremitengemeinschaft von Schülern, die sich ihm anschlossen, nach Subiaco zurück. Er führte eine Ordnung nach den Vorschriften des heiligen  Pachomius ein.

Mit einigen der Mönche zog er im Jahr 529 aus Subiaco fort, um auf einem Berg über dem Städtchen Casinum, auf dem noch eine heidnische Kultstätte befand, dem heutigen Monte Cassino, ein Kloster zu gründen. An der Stelle des heidnischen Tempels erbaute er eine dem Heiligen Martin von Tours geweihte Kirche.

Er verfasste um das Jahr 540 seine berühmte „Regula Benedicti“, die zum grundlegenden Typikon aller sich von da aus über das ganze Abendland ausbreitenden Klöster wurde. Die Regeln des Altvaters Benedikt zeicnen sich durch sein Streben nach Ordnung, sein beständiges Suchen nach Gottes- und Nächstenliebe, Seine unerschöpfliche Bereitsein zu Nachsicht mit den Schwachen und seine pastorale Sorge aus. Der heilige Benedikt war auch ein großer Wundertäter. So bewirkte sein Gebet, daß der Bruder Maurus trockenen Fußes über Wasser gehen konnte, um den ertrinkenden Placidus zu retten.

Das Typikon des heiligen Benedikts war auch eine Antwort auf die sich auflösende spätantike Gesellschaft, denn in die Unruhe und Auflösungstendenzen jener Zeit brachte er ein Prinzip ein, das dem damaligen aber auch heute wieder den Zeitgeist widersprach und das gerade deshalb dauerhaft wurde: die Beständigkeit. In den Klöstern, die der Ordnung des heiligen Benedikt folgten, wurde alle Menschen aufgenommen und alle wurden als Brüder in Christus für gleichwertig erachtet. Entgegen den Regeln der antiken Gesellschaft gab es dort keinen Unterschied zwischen dem zivilisierten Römern und dem barbarischen Germanen. Nachdem nicht nur die Römer und Griechen, sondern auch die Germanen getauft waren, sollten die Menschen nun als Brüder in Christo miteinander umgehen und zusammen leben - und das Kloster sollte dafür ein vorbildhaftes Modell sein.

Einen großen Teil seiner Zeit widmete der heilige Benedikt den Nöten der einheimischen Bevölkerung. Er verteilte Almosen und Nahrung an die Armen. Viele Wunder, Heilungen und Totenerweckungen werden von ihm berichtet. Der heilige Benedikt starb am Gründonnerstag des Jahres 547.

Der heilige Gregor Dialogus, der Erzbischof und Papst von Alt-Rom verfasste eine Lebensbeschreibung des heiligen Benedikt  im zweiten Buch seiner Dialoge. Der heilige Gregor stellt darin besonders klar heraus, wie der heilige Benedikt seinen Lebensweg in der Nachfolge Christi und unter der Führung der Heiligen Schrift gegangen ist. Bis heute sind die Benediktinerklöster in aller Welt lebendige Zeugnisse dieses von Christus her geprägten Geistes des heiligen Benedikt, der das geistliche und geistige Leben Europas bis zum heutigen Tage nachhaltig geprägt hat.

 

 

 

Zwischen dem 8. und dem 11. Jahrhundert entfremdete sich das römische Patriarchat von der Gemeinschaft der Einen Heiligen Kirche. Dies geschah dadurch, daß die römischen Patriarchen, die Päpste,  sich über die Katholizität, den Sobornost, die konziliare Gemeinschaft mit den übrigen Bischöfen, zu erheben begannen. Auch wurden im abendländischen Teil der Christenheit neue unkirchliche Ansichten (wie das Filioque) in die Theologie eingeführt und damit das auf die pneumatische Einheit gegründete Leben in der Einen, Heiligen,  Katholischen und Apostolischen Kirche mehr und mehr gestört. 

Damit begann sich die römische Ortskirche vom Heiligen Orthodoxen Glauben mehr und mehr abzutrennen. Dadurch wurde ihr geistliches Leben gleichzeitig mehr und mehr geschwächt; sie wurde durch falsche Lehren irregeleitet und von der Kommunion mit dem Einen Leib Christi getrennt. Jedoch wurde die Gemeinschaft der römisch-abendländischen Christen mit der Einen Kirche Jesus Christi, die die Heilige Orthodoxe Kirche ist, durch diese Entwicklungen zwar geschwächt, doch niemals vollkommen zerstört. 

Insofern dürfen wir uns kein Urteils über die Heiligkeit der außerhalb unserer Einen Wahren Kirche als heilig verehrten Personen anmaßen. Der heilige Justin Popovic hat Franziskus von Assisi als Heiligen verehrt und der heilige Johannes von Shanghai und San Franzisco zählte Ansgar, den apostelgleichen Verkünder des Evangeliums in Skandinavien, unter die Heiligen. In der zur serbischen Kirche gehörenden Skite des Heiligen Spyridon in Geilnau wird ein Ikone der allheiligen Gottesgebärerin, die Königin von Deutschland verehrt, auf der die Allheilige Gottesmutter zwischen dem heiligen Apostel Matthias und Bonfatius, dem Erleuchter Deutschlands, dargestellt ist. 

Auch nach dem Schisma war die römische Kirche mit Menschen von großer Heiligmäßigkeit gesegnet. Es geht also bei einer orthodoxen Würdigung nicht um ein „Urteil“ über deren Heiligkeit, sondern nur um eine Aussage über die Grenzen unserer Gewißheit darüber. Die Orthodoxe Bischofskonferenz in Deutschland und die Russische Orthodoxe Auslandskirche geben jeweils einen orthodoxen Kirchenkalender mit der Kommemoration auch westlicher Heiliger heraus. Als Grenze für die Aufnahme der nur im Westen bekannten Heiligen in die orthodoxen Kalender wird offensichtlich das Jahr 794 angenommen, als eine fränkische Reichsynode, die in Frankfurt zusammengetreten war, das Filioque für weite Teile der abendländischen Kirche verbindlich machte.

 

 

 

Der heilige Neomärtyrer Dimitrios aus Tripolis

 

Der heilige Neomärtyrer Dimitrios wurde in der Stadt Ligenditsa in der Provinz Akadien auf dem Peleponnes im letzten Drittel des 18 Jahrhunderts geboren. Er erlitt in Tripolis den Märtyrertod am 14. April des Jahres 1803. In der Stadt Tripolis arbeitete er zunächst bei einer Baufirma. Später nahm er eine Stellung als Dienstbote bei einem muslimischen Friseur an. Durch dessen Einfluss bekehrte sich Dimitrios zum Islam und nahm dabei den Namen Mehmet an. Nach einiger Zeit bereute Dimitrios jedoch seine Entscheidung zur Apostasie und ging nach Argos, um sich nach Smyrna in Kleinasien einzuschiffen. Von dort aus pilgerte er in das Kloster des heiligen Johannes in Kydonies. Nach diesem Aufenthalt ging Dimitrios nach Tripolis zurück. Dort stellte er sich den islamischen Behörden und bekannte seinen christlichen Glauben. Die Muslime versuchten ihn zunächst umzustimmen. Als der heilige Dimitrios aber standhaft in seinem christlichen Bekenntnis blieb,  wurde er am Ende zum Tode verurteilt und enthauptet.

 

Verehrung der Heiligen

 

Erzpriester Alexander Schmaeman

 

Das Christentum wird verschieden aufgefasst. Für die Einen ist es vor allen Dingen Moral, das ethische Gesetz; für die Anderen Philosophie oder Ideologie, die die so genannten „Probleme“ erklärt und löst; für Dritte schließlich ist es eine Lebensweise, ein System von Bräuchen, Gewohnheiten und Gedenktagen, die das Leben verschönen und buchstäblich eine Lebenshilfe sein können. Natürlich schließt das Christentum all das ein. Aber es ist mehr, weiter und tiefer als all das.

 

Denn im Evangelium wird die christliche Lehre als Leben verkündet, als neue, das alte sündhafte Leben erneuernde Daseinskraft, als eine neue Realität. Und tatsächlich, für die Christen war der eigentliche Beweis für ihren Glauben sowohl für sich selbst wie für andere eben das konkrete Leben der Christen und nicht nur bloße Lehre oder Moral oder Gottesdienst.

 

Die Apostel haben nicht das Christentum, sondern Christus gepredigt, Sein Leben, Seine Leiden, Seinen Tod und Seinen Sieg über den Tod. Das bedeutet, ihre Predigt war Verkündigung einer konkreten, lebendigen Gestalt.

 

Es bedurfte Jahrhunderte, um die komplizierte, reiche christliche Lehre zu präzisieren, um diese Lehre in die nach Schönheit und Tiefe so erstaunlichen Formen des christlichen Gottesdienstes zu gießen und um schließlich die moralischen und sittlichen Grundsätze des Christentums im Einzelnen zu erarbeiten.

 

All dies jedoch hätte und hat keinen Sinn ohne Verwurzelung im Leben. Und daher hatten eine besondere, ja ausschließliche Bedeutung in der Christenheit dieHeiligendas heißt Menschen, die in sich, mit ihrem Leben den eigentlichen Inhalt des Christentums verkörpertenUnd daher offenbart sich uns dieser Kern am besten, wenn wir zu diesen konkreten, lebendigen Menschen hinschauen.

 

Dies ist nützlich zumal jetzt, wo viele, selbst Gläubige oder religiöse Leute, abgeschnitten sind von der lebendigen Kenntnis der Heiligen. So seltsam es klingen mag, es geschah gerade wegen der Verehrung der Heiligen. Anstatt die Heiligen zu verstehen, ihre Erfahrungen nachzuempfinden und sich in sie hineinzuleben, begannen die Menschen einfach die Heiligen zu verehren, und so verwandelten sie sich gewissermaßen in abstrakter Verkörperung zu etwas Abstraktem, Übernatürlichem, Übermenschlichem, das uns, den einfachen Sterblichen, nicht zu Gebote steht.

 

Wir haben vergessen, dass Heilige in erster Linie Menschen wie wir sind. Das aber heißt, jeder von ihnen ist individuell, dem anderen nicht ähnlich, mit anderen Worten, jeder Heilige ist eine lebendige, einmalige Persönlichkeit und, was bei den Heiligen gerade besonders wichtig ist: Jeder geht seinen eigenen Weg in seinem Leben, unter den einmaligen und unwiederholbaren Bedingungen seines Lebens, damit er zur Heiligkeit gelangt, zu jenerVerkörperung des Christentums in sich, das bis zur Stunde auch uns leuchtet.

 

Wir haben weiter die große Vielfalt der Heiligen vergessen, den Unterschied ihres Temperaments, ihre Berufe, Bildung, Interessen und Wege, welche sie genommen haben. Sie sind für uns Vollkommenheit ganz allgemein. Doch gerade jetzt und gerade wir müssen uns an Heilige wie an lebendige Menschen erinnern; weil in dem Kampf wider das Christentum, die Kirche und den Glauben bei uns, übrigens recht gekonnt, auf den abstrakten Charakter der Religion, auf den Nominalismuszurückgegriffen wird.

 

Das Christentum wird als Lehre bestritten, als Moral entlarvt, man verspottet uns als Kult. Ihr sagt, meint man, das eine, aber handelt anders, und folglich ist euer ganzer Glaube eine Lüge. Natürlich kann man endlos über solche Erklärungen streiten. Man kann und muss den Glauben als Wahrheit verteidigen, aber auch als Moral und Kult.Diese Apologie wird tatsächlich kaum überzeugen, wenn wir im Christentum nicht das Leben sehen, das heißt Wege, die Tausende und Abertausende gegangen sind, für die dieser Pfad zum Weg der vollkommenen Freude, des eigentlichen Lebenssinns, der Fülle des Lebens und der Menschlichkeit wurde.

 

Die Wahrheit des Christentums liegt in seiner Lebendigkeit, in der Fähigkeit Heilige hervorzubringen, und zwar in jedem Volk, in jeder Epoche und in jeder Kultur. Das Christentum hat wie alles auf der Erde Perioden des Aufschwungs und des Verfalls gehabt, Epochen großer und weniger großer Erfolge. Oft haben Christen, ja sogar zu oft, eben die Grundsätze verraten, die sie verkündigt haben. Und unter diesem Gesichtspunkt haben sie ihren Feinden nicht wenige Waffen geliefert.

 

Aber in dieser menschlichen, all zu menschlichen Geschichte ist stets das unverändert geblieben, worauf wir uns immer berufen müssen, was das Wesen des Christentums ausmacht. Das ist die Gestalt Christi. Und das ist daher die Gestalt für alle die, die nicht nur mit Worten, sondern in der Tat, mit ihrem ganzen Leben, Christus aufgenommen haben, Ihm nachfolgten in Dem das Christentum seine Berechtigung fand.

 

Zu oft haben wir Jahrhunderte hindurch in den Heiligen nur die Helfer, die Fürbitter und die Beschützer gesehen. Von ihnen wollte und erwartete man nur Wunder, nur die übernatürliche Hilfe. Ist es jetzt nicht an der Zeit, dass wir zurückfinden zu dem wahren Sinn der Heiligkeit im Christentum? Sein Sinn verkörpert sich am besten in dem Wort, mit dem die Christen ihre ersten heiligen Märtyrer benannten; es ist das Wort „martys" auf Griechisch, zu Deutsch aber „Zeuge“.

  

Der Heilige ist vor allen Dingen ein Zeuge, das heißt ein Mensch, der durch seine Erfahrung Christus gesehen, erkannt und zu seinem Leben gemacht hat. Und daher braucht er als Zeuge keine Beweise und Erwägungen. Er sah, erkannte und akzeptierte als Augenzeuge, was für andere immer nur Lehre, nur Worte, nur Erwägungen sind. Wir begreifen, dass der Begriff Heiligkeit nichts anderes als Zeugentum meint.

 

 

Troparion der heiligen Neo-Märtyrerin Bosiljka im 4. Ton: Von Jugend an hast du dich ganz dem Bräutigam Christus anvertraut, als lebendiges Opfer, im Heiligen Geist wohlgewollt dargebracht, und mit seiner Macht die Tyrannen besiegt, heilige jungfräuliche Märtyrerin Kosovo’s Bosiljka, bitte Christus Gott, dass Er unser rechtgläubiges Volk errettet und allen große Gnade schenkt.

 

Drei verherrlichte serbische Neo-Märtyrer aus dem Kosovo

 

Diakon Thomas Zmija

 

Die heilige Neo-Märtyrerin Bosiljka gehört zu drei Neo-Märtyrern unter den osmanischen Joch die von der Serbischen Orthodoxen Kirche im Jahr 2018 als Mitglieder der verherrlichten Schaar der Heiligen Gottes in das kirchliche Gedächtnis aufgenommen wurden.

 

Diese drei heiligen Neo-Märtyrer stammen alle aus dem Kosovo und sie erlitten während der türkisch-osmanischen Herrschaft wegen ihrer Treue zum christlich-orthodoxen Glauben das Martyrium.

 

Das Zeugnis dieser drei Neo-Märtyrer kündet in einer Zeit, in der sich Relativismus und Indifferenz bis in Reihen der Christen ausgebreitet hat von einer geistlichen Stärke und Glaubentreue, für die ihnen unser Herr und Erlöser Jesus Christus die Siegeskrone und das ewige Leben verliehen hat.

 

Der Heilige Gregor war ein junger Mönch in Pec, der Ende des 17. Jahrhunderts getötet wurde, weil er nicht zum Islam konvertieren wollte. Die kleine Kirche über seinem Grab wurde von den kommunistischen Behörden unter Tito abgerissen. Bei den Abrissarbeiten an der Kirche wurde sein unverwester heiliger Leib entdeckt. Der heilige Vasilije war ein Bäcker in Pec im 17. Jahrhundert. Muslimische Albaner entführten seine Tochter. Der Vater wollte ihre Zwangskonversion zum Islam verhindern. Daraufhin wurde er von den Entführern seiner Tochter getötet. Seine Grabkapelle wurde zunächst von den osmanischen Behörden zerstört, jedoch in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, als der Kosovo wieder ein Teil des serbischen Königreichesgeworden war, wiederaufgebaut. Als aber im Jahr 1999 die UCK den Kosovo erneut von Serbien losriss, wurde auch das kleine Heiligtum des Neo-Märtyrers Vasilije erneut zerstört.

 

Auch die Heilige Bosiljka wurde im 18. Jahrhundert im Alter von 17 Jahren aus einem Dorf bei Gnjilane von muslimischen Albanern entführt. Als sie sich weigerte, zum muslimischen Glauben der Hagarener zu konvertieren und einen Albaner zu heiraten, wurde sie in Stücke gehackt.

 

 

Wunderbar ist Gott in Seinen Heiligen

 

 

Diakon Thomas Zmija

 

Ein rechtschaffenes Leben erfüllt von Gottes- und Nächstenliebe ist die Vorausssetzung, dass einen orthodoxen Christen zu einem Heiligen, also einem Freund und Vertrauten Gottes werden kann. Dies geschieht durch die Vergöttlichung, indem der Heilige durch das Zusammenwirken mit der göttlichen Gnade, Schritt für Schritt Christus immer ähnlicher wird. Der Heilige wird zu einer irdischen Ikone Christi. Dies ist das Lebensziel eines jeden gläubigen orthodoxen Christen und deshalb wird der Heilige so zum Vorbild und Fürsprecher für uns.

 

Die orthodoxe Kirche spricht im Übrigen niemanden "Heilig", sondern sie erkennt nur die besondere Nähe Gottes zu einem bestimmten Menschen und fügt diesen besonders gottverbundenen Menschen dem Gedenken der Schaar der übrigen Heiligen Gottes bei. Diese besondere Verbundenheit mit Gott zeigt sich daran, dass dieser Mensch in besonderer enger Verbindung mit dem geistlichen Leben der orthodoxen Kirche gestanden, Gott besonders treu gedient, durch die Gnade Gottes Wunder gewirkt hat oder als Märtyrer für Christus sein Leben hingegeben hat.

 

Durch ein auf Gott und seine Gebote ausgerichtetes Leben hat sich der Heilige mehr und mehr (durch das Gnadenwirken Gottes) von seinen Leidenschaften befreien  und dadurch hat der Heilige sich zugleich mehr und mehr von der Macht zur Sünde loslösen können. Dieser Prozess findet in einem Zusammenwirken (Synergeia) mit der alles bewirkenden Gnade Gottes statt. Der Heilige ist also kein Superheld, sondern ein sündiger Mensch wie Du und ich. Aber der Heilige ist ein Mensch, der die Liebe zu Gott und seinen Mitmenschen, ja zu allen Geschöpfen Gottes, über alles andere in seinem Leben gestellt hat. Und diese Liebe ist im Zusammenwirken mit der alles entscheidenden göttlichen Gnade der Motor unserer Verwandlung hin zu jenem paradiesbewohnenden Menschen, den Gott bei Seiner Schöpfungsakt gewollt und beabsichtigt hat. So ist der Heilige ein Mensch, der Schritt für Schritt Anteil an Christi vergöttlichten menschlichen Natur gewonnen hat. Dabei bleibt aber ein fundamentaler Unterschied zwischen dem Urbild Christus und seiner menschlichen Ikone dem Heiligen: Die menschliche Natur, die Christi angenommen und mit Seiner göttlichen Naturt vereint hat, ist ohne Sünde, aber der Heilige ist und bleibt ein sündiger Mensch, der sich aber durch die Askese mehr und mehr der verwandelnden göttlichen Gnade öffnet. Auch kann sich der Heilige nicht selbst erlösen, aber er kann - wie wir alle - ein vollkommenes "Ja" zur Erlösung durch Christus sprechen. Dieses "Ja" ist der orthodoxe Glaube und die Liebe zu Gott und unserem Nächsten, die uns dann aus freien Willen die durch unseren Herrn und Erlöser und Gott gebrachte Erlösung annnehmen und in uns wirksam werden lässt.

 

 

Hl. Gabriel Urgebadze

 

Ein Zeugnis von Metropolit Seraphim (Jojua) vor Borjomi und Bakuriani, der ein geistlicher Sohn von Vater Gabriel war und von ihm die Weihe zum Mönch empfing:

 

„Als ich Vater Gabriel zum ersten Mal sah, dachte ich: ‚Das ist ein Auserwählter Gottes. Das konnte man in allem spüren, was er tat.

 

Der Starez blieb niemals gleichgültig gegenüber den Leiden anderer Menschen, und er konnte die Verletzten und Kummervollen stundenlang trösten. Wenn er den tiefen Kummer und das Unglück der Menschen sah, begann er zu schluchzen und inständig für sie zu Gott zu beten. Er sagte: ‚Wenn wir einander helfen, dann wird Gott uns gegenüber barmherzig sein. Er hat uns eine Gelegenheit gegeben, gute Taten zu vollbringen.“

 

Vater Gabriel konnte jede Art von Falschheit oder Unaufrichtigkeit in den Menschen wahrnehmen. Er erteilte den Ruhmsüchtigen strenge Lektionen in Demut, doch dies erwies sich als gut für sie. Es geschah zuweilen, daß er während eines Festessens oder einer Priesterversammlung mit erhobenen Armen herumzulaufen und zu rufen begann: ‚Prahlerei! Eitelkeit!‘

 

Häufig verhielt er sich wie ein ‚Narr-in-Christo‘ [Menschen, die ihre große Tugend und Heiligkeit unter der Maske anstößiger ‚Verrücktheit‘ verbergen] und konnte die sonderbarsten Dinge tun. Zuweilen schimpfte er mit schrecklichen, schlicht unanständigen Worten. Oder – man stelle sich vor! – er schlug während der Liturgie Purzelbäume und rollte sich auf dem Boden herum. Für viele war es ein Skandal; sie verstanden nicht, was vor sich ging.

 

Nun, eines Tages stand mein lieber Freund, ein guter Künstler – er war damals sehr jung – mit seinen Freunden an den Pforten des Klosters Samtavro, und sie diskutierten darüber, wieso Vr. Gabriel während der Liturgie Purzelbäume schlägt. Es waren fünf oder sechs Freunde. Sie sprachen untereinander: ‚Nun, wir wissen, dass er ein Heiliger ist, aber die anderen wissen das nicht. Was denken sie? Es gibt Grenzen. Wie kann er das tun? Die Liturgie geht voran, das Blutlose Opfer wird dargebracht, und er ist am Ambo und macht Gott weiß was.‘ Da hält plötzlich ein Taxi. Der Starez steigt aus und geht direkt auf sie zu und sagt: ‚Nun, ihr verurteilt mich?‘ Sie waren verblüfft und wußten nicht, was sie tun sollten. Dann ging der Starez ruhig hinein.

 

Ich bin dem Herrn sehr dankbar, dass er mir die Mönchsweihe unter dem Mantel von Vater Gabriel gewährt hat. Das war im Jahr 1992. Ich brauchte für die Weihe nichts mitzubringen, und er gab mir seine neue Mantia. Er hatte zwei davon, aber er mochte keine neuen Dinge und trug stets die alte. Für mich ist das nun ein enorm heiliger Gegenstand, und ich erfülle stets die Bitte anderer und segne sie mit dieser Mantia.“

 

Unser Vater unter den Heiligen Josef der Neue, Metropolit von Temeschwar und dem Banat, der Wundertäter

 

Der Heilige wurde im Jahr 1568 in Dubrovnik als Sohn eines venetianischen Vaters und einer griechischen Mutter geboren. Mit 15 Jahren wurde er Novize im Kloster der Gottesgebärerin in Ochrid. Im Jahre 1590 wurde er dann Mönch im Pantokrator-Kloster auf dem Heiligen Berg Athos und erhielt den Mönchsnamen Joseph. Er lebte in Askese aufeinanderfolgend in verschiedenen Athos-Klöstern, darunter Chilandar und Vatopedi. Später wurde zum Abt des Stephanos-Klosters in Arianopel berufen. Nach 6 Jahren kehrte er von dort zurück auf den Heiligen Berg und wirkte einige Zeit als Abt des Kloster Koutloumousiou. Danach zog sich dann ins Vatopedi-Kloster zurück, um dort seine letzten Jahre in Stille und Gebet verbringen zu können.

 

Aber Gottes Ratschluss war ein anderer, denn Jim Jahr 1650 wurde vom Patriarchen Parthenios I. von Konstantinopel trotz seines hohen Alters von 82 Jahren zum Metropoliten von Temeschwar im Banat berufen. In nur 3 Monaten erlernte er mit Gottes Hilfe die rumänische Sprache, sodass er am Tag seiner Inthronisation zu seinen Gläubigen in deren Muttersprache sprechen konnte. Er erwies sich als außergewöhnlich begnadeter Oberhirte und war sehr beliebt beim Volk.

 

Im Jahre 1653 zog er sich wegen seines hohen Alters in das Kloster Patros im Banat zurück, wo er im Jahre 1656 im Alter von 88 Jahren in Frieden entschlief.  Der Leib des heiligen Joseph wurde in der dortigen Klosterkirche bestattet. Nachdem er am 07. Oktober 1956 heiliggesprochen worden war, übertrug man seine Reliquien aus dem Kloster Patros in die Kathedrale von Temeschwar. Sein Gedenktag ist der 15. September.

 

Troparion im 8. Ton: Von Jugend an dem Herrn ganz hingegeben, warst du im Gebet, in Mühen und im Fasten ein Vorbild der Tugend. Deshalb hat Gott auch deinen guten Willen angesehn und setze dich ein zum Hohepriester und Hirten seiner Kirche und nach dem Tode wohnst du in der Schar seiner Heiligen. Heiliger Vater Josef, bete zu Christus unsern Gott, um uns Vergebung der Sünden zu gewähren, denen, die durch Glauben und Liebe heilig dein Gedenken begehen.

 

Rasophormonach Efrem Kuckhoff