Das Wort „Heiliger“ hat in der Schrift mehrere Bedeutungen. Beispielsweise bedeutet es „guter Engel“ oder (in den allermeisten Fällen) „Angehöriger der christlichen Gemeinde“. An manchen Stellen hat es jedoch eine engere Bedeutung im Sinne von „ausgezeichneter Diener Gottes“. So wird z.B. Johannes der Täufer als „heiliger Mann“ bezeichnet (Mk 6,20), und der Prophet Elischa als „heiliger Mann Gottes“ (2 Kön 4,9).
Von dort aus bezeichnet die orthodoxe Kirche Menschen als Heilige, die in ihrem Leben der Liebe Gottes so vollkommen nahegekommen sind und ihr im Prozess der Heiligung so sehr zugestimmt und mit ihr so sehr zusammengewirkt haben, dass ihr Leben in Christus in besonders klarer Weise offenbar geworden ist. Die Gnade des Heiligen Geistes hat ihre ganze Person deshalb so sehr verändert und erleuchtet, dass sie lebendige Ikonen der Heiligkeit Gottes geworden sind. Sie sind so zur Erfahrung der Theosis geführt worden; zur der Vergöttlichung, der Verherrlichung durch die Gnade Gottes, einhergehend mit der Theoria, der Schau Gottes, genauergesagt: der Schau der Ungeschaffenen Energien, der Herrlichkeit Gottes. Ein Heiliger ist also ein sichtbar und erkennbar in der Gemeinschaft mit Gottes Gnade lebender Mensch. Ein Heiliger ist ein mit seinem ganzen Sein vergöttlichter Mensch. Das heroisch-tugendhafte Leben des Heiligen ist gleichsam sein äußeres "hochzeitliches" Gewand. Der Heilige ist aber nicht nur für sich selbst, heilig, sondern immer auch als Trost und Ansporn für die anderen, ebenso wie der Heilige in seinem Erdenleben mit Sünden und Leidenschaften kämpfenden Gläubigen. So ist der Heilige für uns himmlischer Fürsprecher bei Gott und ein Vorbild des Glaubens. Zugleich ist jeder Heilige für uns ein Beweis und Anruf, dass auch wir zu den endgültig Geretteten gehören können, wenn wir Christus von ganzem Herzen nachzufolgen bereit sind.
Gerade von unseren evangelischen Mitchristen hören wir vielfach die Meinung, dass ein Beachten der Heiligen von Christus ablenken würde. Nach ihrer Argumentation
sollten wir allein Christus betrachten und nur Ihn als Vorbild nehmen. Hierbei wird aber eine künstliche Differenz zwischen Christus und Seinen Heiligen aufgebaut und die Kirche als der mystische
Leib Christi vernachlässigt. Gerade im Leben der Heiligen leuchten ja verschiedene Aspekte der Heiligkeit Christi auf. Deshalb wird im Neuen Testament die Nachahmung vorbildlicher Christen auch
mehrfach empfohlen. Nach dem Hebräerbrief sollen wir „Nachahmer“ derer sein, „die durch Glauben und Ausdauer Erben der Verheißung sind“ (Hebr 6: 12), und am Ende dieses Briefes heißt es: „Gedenkt
der Führenden unter euch, die euch das Wort Gottes verkündigt haben: Schauet auf den Ausgang ihres Lebenswandels und ahmt ihren Glauben nach!“ (Hebr. 13: 7). Der hl. Apostel Paulus schreibt an
die Korinther: „Werdet meine Nachahmer, wie ich Christi Nachahmer bin“ (1.
Kor. 11: 1; vgl. auch: 1. Kor. 4: 16).
Nachdem Christus Himmel und Erde wieder versöhnt und in Seiner hl. Kirche vereinigt hat (vgl.: Eph 1: 10; Kol. 1: 20), hört nun auch unsere Gemeinschaft mit Christus im Tod nicht auf. Seine Liebe überdauert sogar den leiblichen Tod (vgl. 1 Kor 13,8). Die vollendeten Gerechten in Christus sind schon jetzt in den Himmel versetzt (vgl.: Eph 2: 6; 1: 3). Sie stehen als Fürbitter und Fürsprecher am Throne des Lammes (vgl.: Offb 6: 9).
Nun dürfen wir die Anrufung der Heiligen nicht mit ihrer Anbetung verwechseln. Wir verehren die Heiligen, aber anbeten tun wir nur Gott Allein. Manchmal trägt zu diesem Missverständnis auch bei, dass die Heiligenanrufungen auch „Gebete“ genannt werden. Die Heiligen tragen aber vielmehr unsere Bitten vor Gott, wie es die Allheilige Gottesgebärerin bereits auf der Hochzeit zu Kanaan getan hat. Die Heiligen sind unsere Fürbitter und Helfer vor Gott indem sie unsere gottliebenden Dolmetscher im Dialog mit der Göttlichen Gnade sind. Der Eingeborene Sohn Gottes ist Mensch geworden, damit wir vergöttlicht werden können. Die Heiligen sind in diesem Prozess so sehr der Göttlichen Gnade begegnet, dass sie sosehr an Christi vergöttlichte menschliche Natur verähnlicht wurden, dass wenn wir auf sie blicken, lebendigen Ikonen des Erlösers begegnen. Deshalb ist die orthodoxe Verehrung der Heiligen eine Begegnung mit Christus und der Göttlichen Gnade im Antlitz Seiner Heiligen.
Nach Offb 3: 21 werden die Heiligen mit dem Herrn Jesus Christus und dem Vater auf ein und demselben Thron sitzen (vgl. auch Offb 20: 4–6; Matth. 19: 28; 1. Kor. 6: 2). Deshalb sind wir orthodoxe Christen uns gewiss, dass die Alllheilige Gottesgebärerin, die hl. Engel und die im Himmel versammelten Heiligen, aber auch wir orthodoxen Christen auf Erden für andere im Dienst des Heiles tätig sein sollen, werden, können und müssen, Weil die Gerechten im Himmel und auf Erde, die Himmlischen und wir Irdischen, in einer Kirche vereint, Gott den schuldigen rechten Lobpreis und die würdige Anbetung darbringen sollen.
Priester Thomas Zmija